Bundestagskandidatin Nezahat im Interview mit unserer Redaktion:
aS: Du bist niedergelassene Ärztin in Attendorn. Dein Ziel ist es, nun in der großen Politik Verantwortung zu übernehmen. Was hat Dich dazu bewogen?
Baradari: Ich bin der Meinung, dass allen Bürgerinnen und Bürgern die gleiche gesundheitliche Versorgung zusteht. In meiner alltäglichen praktischen Arbeit als niedergelassene Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin sehe ich die großen Unterschiede der medizinischen Versorgung je nach Versichertenstatus.
In einer politisch stark unter Druck stehenden rationalisierten Medizinwelt sehe ich die Grenzen meiner Handlungsfähigkeit als Ärztin. Krankheiten werden oft nur verwaltet und nicht therapiert. Dies ist der entscheidende Grund, für mich als Praktikerin, politisch aktiv zu werden, um von unten nach oben Veränderungen zu bewirken.
aS: Was heißt das konkret für die Gesundheitspolitik?
Baradari: In der SPD fordern wir eine gleich gute medizinische Versorgung für ALLE! Durch den medizinischen Fortschritt haben wir eine immer stärker alternde Gesellschaft. Gewisse Krankheiten wie Demenz und Krebs werden hierdurch häufiger in Erscheinung treten. Bei den zu erwartenden Veränderungen in Bezug auf die demographische Entwicklung und die damit verbundenen Kostensteigerungen, ist ein verantwortungsvolles politisches Handeln notwendig.
Es ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit und Aufrichtigkeit, dass die Krankenversicherung paritätisch, d. h. zu gleichen Anteilen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber, übernommen wird.
Wer Angehörige pflegt, braucht mehr Zeit für Zuwendung und oft auch finanzielle Unterstützung. Wir führen die Familienarbeitszeit für Pflegende ein. Wer Familienmitglieder pflegen muss, kann die Arbeitszeit für bis zu drei Monate ganz oder zum Teil reduzieren und erhält analog zum Elterngeld Familiengeld für Pflege.
aS: Das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird derzeit stark diskutiert. Welche Herangehensweisen sind bei diesem Thema für Dich wichtig?
Baradari: Eltern sollen Beruf und Familie besser vereinbaren können. Daher hat die SPD nach dem Elterngeld nun auch das Elterngeld-Plus eingerichtet.
Das ist vor allem für berufstätige Mütter und Väter attraktiv, die Beruf und Familienzeit gleichmäßig unter sich aufteilen wollen.
Niemand sollte Sorge haben, dass sie oder er später nicht wieder aufstocken kann, weil die Erziehung von Kindern oder die Pflege von Familienangehörigen im Vordergrund stehen musste. Wir wollen ausdrücklich ein gesetzlich garantiertes Rückkehrrecht auf die alte Arbeitszeit und somit den Schutz vor der Teilzeitfalle. Wir wollen die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern in allen Bereichen. Die am meisten von Armut betroffenen sind alleinerziehende Mütter und Väter bzw. ihre Kinder.
aS: Wird die Rente nun durch die SPD sicherer?
Baradari: Alle sollen sich auf die gesetzliche Rente verlassen können! In der SPD wollen wir ein Rentenniveau von 48 Prozent sichern. Wir wollen für Generationengerechtigkeit sorgen und dafür, dass die Rentenbeiträge die festgeschriebene Marke von 22 Prozent nicht überschreiten. Wer jahrzehntelang gearbeitet hat, soll nicht zum Sozialamt müssen, weil er wenig verdient hat. Die Rente mit 70 lehnt die SPD ab.
aS: Bildung ist ja derzeit das zentrale Thema gerade in der SPD. Welche Verbesserungen sieht die SPD vor?
Baradari: Nun, ich stamme aus einfachen Verhältnissen und erlebte meine erste Sozialisation als Kind einer Arbeiterfamilie in Deutschland. Bei meiner zweiten Einreise nach Deutschland, mit dem 14. Lebensjahr als Flüchtlingskind, habe ich das Leben von ganz unten kennengelernt. Durch sozialdemokratische Errungenschaften wie das BaföG und das kostenlose Studium konnte ich meine Ziele als junger Mensch realisieren und Karriere machen. Denn Bildung ist die stärkste Waffe gegen Armut und muss allen Bevölkerungsschichten frei und kostenlos zur Verfügung stehen. Dies ist soziale Gerechtigkeit!
Wir werden schrittweise gebührenfreie Kitas einführen, damit das Zweiteinkommen der Eltern nicht von Kitagebühren aufgebraucht wird. Die Ganztagsschulen sollen flächendeckend vorhanden sein und es soll ein Rechtsanspruch hierauf bestehen. Das Studium sowie die Meisterprüfung dürfen nicht am Geld scheitern. Denn Kinder und Jugendliche verdienen nur das Beste in unserer Gesellschaft!
aS: Und wie sieht das beim Thema Arbeit aus?
Baradari: Arbeit ist das Thema des 21. Jahrhunderts und wird unser soziales und persönliches Umfeld prägen, wie vielleicht nie zuvor. Die Digitalisierung dringt in unsere gesamte Arbeits- und Lebenswelt ein. Dabei fällt der Bildung eine zentrale Bedeutung zu. In der Arbeitswelt kommt es auf gute Qualifikationen an. Daher fordern wir ein Recht auf betriebliche Weiterbildung, um die Herausforderungen zu meistern. Hierfür stehen wir traditionsbewusst an der Seite der Gewerkschaften.
Unsere gemeinsamen Ziele sind darüber hinaus die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung, flächendeckende Tarifverträge für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Der Mindestlohn trägt unsere sozialdemokratische Handschrift. Selbstverständlich muss das Lohnniveau weiterhin regelmäßig angepasst werden, damit die Menschen auch im Alter würdevoll leben können und eine anständige Rente bekommen. Frauen verdienen 21% weniger bei gleicher Qualifikation – und das im 21. Jahrhundert.
aS: Du selber wohnst seit vielen Jahren in Attendorn und bist dort auch kommunalpolitisch unterwegs. Wie können Kommunen zukünftig mit der SPD Entlastung erfahren?
Baradari: In all den Stadträten, den Kreistagen und den Bezirksvertretungen übernehmen Menschen Verantwortung für die Orte, an denen sie leben. Ich will, dass Entscheidungsspielräume wieder größer werden und Kommunalpolitik wieder die Möglichkeit hat, vor Ort zu gestalten. Daher setzen wir uns für die Auflockerung des Kooperationsverbotes zwischen Bund und Kommunen ein. Niemand sonst als die Bürgermeister und kommunalen Vertreter kennen die drängendsten Probleme ihrer Bürgerinnen und Bürger besser.
Z.B. Investitionsfonds ermöglichen es gerade finanziell schwachen Kommunen zu investieren und dem Verfall der öffentlichen Infrastruktur vorzubeugen. Selbstorganisiertes bürgerschaftliches Engagement wie Bürgerbusse, Dorfläden und Kulturzentren müssen gezielt durch Bundesmittel gefördert werden.
aS: Du sagtest zu Beginn, Du seiest selbst als Flüchtling nach Deutschland gekommen. Da hast Du sicherlich einen Vorteil anderen gegenüber und damit ein besseres Verständnis, weil Du beide Seiten kennst. Wie sieht für Dich eine verantwortliche Migrationspolitik aus?
Baradari: Wir stehen für eine humanitäre Flüchtlingspolitik. Das Recht auf Asyl muss auch in Zukunft unangetastet bleiben. Jeder zweite Flüchtling weltweit ist ein Kind! Wir müssen die Fluchtursachen in den Heimatländern bekämpfen und die Flüchtlinge innerhalb Europas solidarisch verteilen. Wir brauchen ein Einwanderungsgesetz, das transparent und verständlich regelt, wer aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland einwandern darf und wer nicht. Wer in Deutschland lebt, hat unsere Art, miteinander zu leben, zu akzeptieren und das Grundgesetz zu beachten.
aS: Martin Schulz setzt als Kanzlerkandidat einen Schwerpunkt auf Europa. Was fällt Dir dazu ein?
Baradari: Die europäische Einigung und Erweiterung ist eine einzigartige Friedenspolitik nach innen wie nach außen und aktueller denn je. Deutsche und europäische Außenpolitik müssen Hand in Hand gehen. Auch die europäische Außenpolitik muss enger mit innenpolitischen Themen wie der Flüchtlings- und Migrationspolitik, der Cyber-Sicherheit, Themen wie Extremismus, Handels-, Energie- und Klimapolitik verzahnt werden. Nur durch eine starke Außenpolitik kann Europa nach Osten wie nach Westen seine berechtigten Interessen vertreten und durchsetzen können.
aS: Vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch!
Kontakt:
Nezahat Baradari
Am Gerbergraben 2b
57439 Attendorn
Telefon: 0178/110 6 100
Email: kontakt@nezahat-baradari.de
Web: www.nezahat-baradari.de